Presse. Stimmen.

zu ALLES IN STRÖMEN, 2023

„Ich bin, weil du bist.“

Am 1. Februar fällt in NRW die Maskenpflicht im ÖPNV und da stellt sich doch die Frage: Was bleibt von der Corona-Zeit noch übrig? Lieferdienste wie Gorillas oder Flink übernehmen bequem den Einkauf, ein Alltag ohne digitale Benutzeroberflächen scheint utopisch, Studenten wurden in zwei Jahren zu Zoom-Experten, das Schlagwort „Social Distancing“ schwirrt noch in unseren Köpfen herum. Bücher wie der Bestseller „Die neue Einsamkeit“ (2021) oder „Das Zeitalter der Einsamkeit“ (2021) füllen Regale von Thalia und Co. und die „Strategie gegen Einsamkeit“ des Bundesfamilienministeriums läuft auf Hochtouren. „Einsamkeit kann uns alle treffen, überall“, so heißt es in der Kampagne. Gerade jetzt wird deutlich: Wir Menschen brauchen ein Gegenüber, das uns antwortet. Jemanden, der uns unsere Selbstwirksamkeit spüren lässt. Nach dem Soziologen Hartmut Rosa bedeutet dieser Kontakt, dass wir mit uns selbst und der uns umgebenden Welt in einer resonanten Beziehung „schwingen“. Die neueste Inszenierung „Alles in Strömen-Das Versprechen der Resonanz" , vom interdisziplinären Künstler*innenkollektiv Polar Publik, betreibt eine künstlerische Recherche über die Resonanz, welche auf seinen Ideen basiert. Unter der Regie von Eva-Maria Baumeister verschmelzen Musik, Performance, Theaterelemente und Wissenschaft. Inszeniert von Ute Eisenhut, Axel Lindner, Fiona Metscher, Oxana Omelchuk, Jimin Seo und Katharina Sim.
Bevor die Uraufführung begann, hallte ein dumpfer, vibrierender, tiefer Ton durch den Raum. Triggerwarnung: Zuschauer*innen, welche sich irritiert fühlen sollten oder einen Herzschrittmacher besitzen, können die Inszenierung fünf Minuten später betreten. Das Publikum begann, sich zu verteilen. Unzählige leuchtende Trommeln fluteten jeden Quadratmeter mit Licht. Mischpulte. An allen Plätzen lagen Kopfhörer. Wozu waren Sie da? Plötzlich herrschte Chaos. Der dumpfe Ton wich melancholischer Opernmusik, Piano kam hinzu, ein Glockenspiel ertönte, alles vermischte sich. Noch plötzlicher als das Chaos, ein „Stop-Ruf“. Inmitten der schlagartigen Stille fingen nun Metscher, Omelchuk, Seo und Sim an, mit Messgeräten zu suchen. Wonach suchten Sie? Nach der verlorenen Resonanz? Das würde zumindest die Messgeräte erklären. Was macht jedoch eine Resonanz aus? Im anschließenden Dialog von Fiona Metscher mit den Betrachtenden wurde dies deutlich. „Erstens: Das Gegenüber. Ich werde erreicht, berührt, bewegt. Zweitens: Die Selbstwirksamkeit. Ich antworte körperlich, mit Gänsehaut, emotional, gedanklich. Drittens: Transformation. Ich werde von etwas erreicht und folglich kommt die Veränderung. Viertens: Unerreichbarkeit. Resonanz ist nicht sofort präsent oder greifbar.“ Diese vier Komponenten der Resonanz von Hartmut Rosa kamen ständig zum Vorschein und trugen das ganze Stück. Dann sprach Metscher in der Inszenierung die erste, unangenehme Wahrheit aus: „Wir leben in Zeiten der Gewinnmaximierung und des Konkurrenzkampfes.“ Forderung: „Es muss doch die Möglichkeit geben, anders in die Welt gestellt zu sein.“ Diese Momente wechselten sich mit Phasen ab, in denen das Publikum die Kopfhörer aufhatte und Gesprächsfetzen lauschte. Es ging um Zeiten der Unverbundenheit und Isolation, prägende, kurzatmige, gar glückliche Begegnungen sowie kindliche Spielereien in Haustrümmern eines Nachkriegsberlins. „Alles in Strömen“ war keine Einbahnstraße. Das Publikum wurde stets eingebunden und animiert. Die Bühne war ein Gastraum, eine Lounge, ein Klangkörper, wie auch an der nächsten Aktion deutlich wurde. Schritt 1: Dem Klang des Raumes für zwei Minuten zuhören. Schritt 2: Überlegen, welches Geräusch man reproduzieren möchte. Schritt 3: Jede*r erzeugte dieses Geräusch. Hier machten die Betrachtenden aktiv mit, statt nur passiv zuzuschauen.
Es folgte die zweite, unangenehme Wahrheit von Metscher: „Wenn ich erfahre, dass das Fremde nur Niedergang und Verletzung bedeutet, dann baue ich eine Mauer um mich herum.“ Andere Teile der Inszenierung brachten dessen Vielschichtigkeit hervor, wie der wissenschaftliche Aspekt, welcher die Arbeiten von Polar Publik ausmacht. Der Einsatz von Messgeräten, die Berechnung der Raumresonanz mittels Formeln, Begriffe wie „maximale Amplitude“ oder „Schwingungen“. Hier griff das Kollektiv Resonanz sowohl im metaphorischen als im wissenschaftlichen Sinne auf. Resonanz als Synonym für akustische Phänomene, aber auch für soziale Prozesse innerhalb einer Gesellschaft. In einer Sequenz wurden Improvisationselemente benutzt, was im Theatergenre sehr beliebt ist. Die Darstellerinnen schossen mit Wörtern umher: Röhre, Theater, Singen, Kochen, Verdampfen. Die musikalische Komponente kam nicht zu kurz. Ute Eisenhut sang in einem weißen Anzug Lieder auf Französisch und Axel Lindners Gitarrenspiel untermalte ihren Auftritt. Die Performances der Darstellerinnen wurden ebenfalls von Soundeffekten begleitet, welche sich an die Bewegungen anpassten und aus den Mischpulten kamen. Es entstand ein permanentes Wechselspiel zwischen Hektik und Harmonie. Die letzte, unangenehme Wahrheit Metschers, dessen Antwort jede*r für sich entschlüsseln sollte: Wie behandeln wir die Dinge? Als stumme, starre Dinge oder als Antworten? Die Aussagen von Metscher regten zum Denken an und saßen doch wie ein Stein in der Magengrube. Nicht, weil sie harsch waren, sondern weil sie einem so vertraut vorkamen. 
Alles in Strömen-Das Versprechender Resonanz ist keine gewöhnliche Aufführung. Geleitet von Hartmut Rosa’s Ideen über die Resonanz, lädt Polar Publik dazu ein, sich auf eine gemeinsame Suche zu begeben, sowohl akustisch als auch körperlich und integriert das Publikum auf ungewöhnliche Art und Weise mit ein. Zwischen Post-Social Distancing Erfahrungen und Einsamkeitskampagnen bringt diese Inszenierung den Betrachtenden nahe, wie wichtig ein soziales Miteinander für uns als Gesellschaft ist.

zu ALLES, WAS DIE ZUKUNFT RETTET! 2022

https://kritik-gestalten.de/kritik/die-rettung-der-innenstaedte/

DIE RETTUNG DER INNENSTÄDTE

von Dorothea Marcus

 

Ein wunderschönes Städtchen ist Arnsberg im Sauerland, rund 70.000 Menschen leben hier. Die Weihnachtsdeko schaukelt in der Fußgängerzone, es gibt Fachwerk-Bestand, Gründerzeit-Charme und viel Denkmalschutz. Die edel sortierte, holzgetäfelte Buchhandlung ist stark frequentiert, Weinhandel, Schmuck- und Delikatessengeschäfte ebenso: Auf den ersten Blick eine gemütliche, wohlhabende Mittelstadt am 20. Dezember. Doch auf den zweiten Blick, unter der beschaulichen Adventsatmosphäre, ist auch hier der Leerstand nicht zu übersehen – mindestens fünf verlassene Geschäfte sehe ich in der rund 800 Meter langen Einkaufsstraße, die man vom Bahnhof aus über einen pittoresken Wanderpfad erreicht, den Fluss entlang rund 200 Meter nach oben.

Am Anfang dieser Einkaufsstraße liegt das ehemalige Pressehaus. Seit ein paar Jahren steht es leer. „Mal was anderes“, steht nun in bunten Großbuchstaben an den Scheiben, und natürlich der große Titel von Eva-Maria Baumeisters Projekt: „Alles, was die Zukunft rettet“. Dazu noch Termine: Eine Kleidertauschbörse. Kostenloser Gitarrenunterricht. Siebdruck für alle, Karaoke, Kaffee, Kekse. Alles, was Jugendlichen Spaß machen müsste. Nur leider ist heute keiner da.

 

In einer unheimlichen Leere

Innen ist der kahle Raum mit abgeschraubten Resopalplatten gemütlich geworden: Lichterketten, Sitzkissen, Sofas, bunte Notizen an den Wänden. Immer wieder liegt ein Buch herum: „Warum wir kaufen, was wir nicht brauchen“, etwa, oder: „Fünf Hausmittel ersetzen eine Drogerie“. Tja, was tun, wenn die ehemaligen Konsumtempel nicht mehr für die heilige Tätigkeit des Einkaufens gebraucht werden?

 „Was kann man den sich transformierenden Innenstädten entgegensetzen?“, fragt sich die Künstlerin Eva-Maria Baumeister schon seit vielen Jahren – und wollte in Arnsberg einen Feldversuch starten, den sie so formuliert: „Wie kann man diese toten Räume besser nutzen? Haben Menschen und gerade junge Leute Sehnsucht nach einem Laden zum Einkaufen – oder liegt das Bedürfnis woanders? Und kann man durch eine Nutzung, die mit den Wünschen der Stadtbewohner gefüllt ist, der Stadt wieder Lebendigkeit zurückgeben?“ Eva-Maria Baumeister ist selbst in Arnsberg geboren, wohnt heute in Köln, einer Stadt mit chronischer Raumknappheit. Ihr ist es selbst manchmal unheimlich, in Arnsberg durch die leere Innenstadt zu gehen.

Gemeinsam mit der Theaterpädagogin Lena Brokinkel und der Bühnenbildnerin und Siebdruckspezialistin Lena Thelen mietete sie temporär den Laden an – der Besitzer will ihn bald wieder vermarkten als „Event-Space“ für „Hammerwurf“. Ob das die Arnsberger Innenstadt entscheidend beleben wird? Wie dem auch sei, er stimmte einer Zwischennutzung zu. Dann nahm Eva-Maria Baumeister Kontakt zum Arnsberger Jugendbegegnungszentrum auf. Dessen Mitarbeiterin, die Sozialarbeiterin und Theaterpädagogin Hanna Radischewski, war so begeistert vom Projekt, dass sie nun täglich im Laden vor Ort ist und die Kontakte zu Arnsberger Jugendlichen, Institutionen und Schulen herstellte. Auch auf Instagram und im Bekanntenkreis gab es viel Werbung. Eine Mischung aus „Kreativraumbefragungsort“ und „Wunschbriefkasten“ soll dieser Raum nun sein, zwei Wochen lang.

 

„Viele trauen sich nicht, die Schwelle zu überschreiten“

Doch die Wortungetüme lassen vielleicht schon ahnen, dass es in diesem Stadtexperiment an manchen Stellen noch ein wenig hakt. Zwar kamen schon drei Schulklassen her, doch so richtig privat wiedergekommen ist kaum jemand – nur drei Schüler*innen aus der 8. Klasse einer Förderschule verbringen fast täglich ihre Nachmittage im neuen Ladenlabor, lernen Gitarre von Lena, gucken Filme, bedrucken T-Shirts, hängen ab. Im Spiel Ressourcium haben sie auf die Frage „Wann warst du das letzte Mal so richtig entspannt?“ geantwortet: „Am Samstag in diesem Laden zu sein“. Nur für heute haben sie leider abgesagt. Auch von der Schulklasse, die in ihren Freistunden wiederkommen wollte, ist niemand erschienen. Die mit der Abiturklasse geplante Kleidertauschparty: Einfach so ausgefallen. Genau wie die geplante Getränke-Ecke, das Waffelbacken.

„Die Idee ist, ein Angebot zu machen und zu gucken, was die Wünsche der Jugendlichen sind“, erzählt Lena Brokinkel. Aber warum kommen sie viel weniger zahlreich als erhofft? „Alle Leute, die vorbeikommen, gucken neugierig – aber die Schwelle zum Innenraum überschreiten sie fast nie, sie scheinen sich nicht zu trauen.“ In einem seltsamen Gegensatz steht dies zu den geäußerten Bedürfnissen: „Alle, mit denen wir sprechen, sagen, dass sie sich in Arnsberg nach konsumfreien, zugänglichen Räumen sehnen, in denen etwas los ist“, sagt Eva-Maria Baumeister.

„Die Hemmschwelle ist auch bei uns im Jugendzentrum eine ganz Ähnliche“, ergänzt Hanna Radischewski. „Es gibt einige, die den Raum für sich eingenommen haben und die bringen dann Freunde mit. Wenn eine Gruppe herausgewachsen ist, entdeckt eine neue den Raum für sich. Aber es sind selten Leute da, die einfach hereinkommen. Vielleicht ist das auch ein wenig der Charakter der skeptischen Sauerländer?“ Was sie allerdings wirklich wundert, ist, dass auch der angebotene Coworking-Space nicht richtig angenommen wird: „Viele Jugendliche erzählen mir immer wieder, dass das fehlt.“

 

Schöne Zeiten oder schon wieder die Welt retten?

Aber reichen zwei Wochen überhaupt aus, um ein Angebot zu etablieren? Wenn Jugendgruppen über das Mitnehmen von Freunden funktionieren, wohl eher nicht. In Interviews haben sie Eva-Maria Baumeister erzählt, dass Räume manchmal auch tabu seien, wenn bestimmte Gruppen irgendwo hin gingen, und sie diese deshalb als besetzt empfänden– Diversität und Vermischung fänden eher nicht statt. Können Räume überhaupt angenommen werden, wenn man weiß, dass sie gleich wieder verschwinden? Immerhin waren auch Mitarbeiter vom Stadtlabor Arnsberg schon zu Besuch und waren begeistert.

„Alles, was die Zukunft rettet“ heißt das Projekt. Ziemlich hochgegriffen, haben einige der Jugendlichen vorsichtig erkennen lassen, die hier waren: „Die Idee ist gut, aber sie wirkt auch unrealistisch“, sagt eine Schülerin, „Es wirkt eher wie eine Art Werbe-Aktion, hinter der was anderes steckt.“ Außerdem erscheine es ihnen wie eine etwas anstrengende Handlungsanweisung, als würde man sich im Laden mit ökologischen Aspekten beschäftigen müssen. „Mit diesem Thema beschäftigen wir uns schon, aber wir werden wirklich von allen Seiten damit zugeworfen.“

Lieber auch mal eine schöne Zeit haben als schon wieder die Welt verändern. Und außerdem – „Ich glaube, dass man mit der Zukunft gerade jetzt in Kriegszeiten nicht unbedingt etwas Gutes verbindet“, sagt eine andere. „Wir können einfach gerade nicht sagen: Wow, Zukunft ist was Schönes.“ Eva-Maria Baumeister hat diese Interviews aufgezeichnet und spielt sie mir vor. Denn in den drei Stunden, die ich in Arnsberg bin, hat kein Mensch von außen die Ladenschwelle überschritten.

 

Reale Experimente und performative Enden

„Immer, wenn ich in so eine Stadtgesellschaft hinein gehe, habe ich erst ein Gefühl von Euphorie und denke dann: Ist das nicht auch irgendwie übergriffig? Wo unterstelle ich ein Bedürfnis, das vielleicht gar nicht da ist? Geht es hier darum, ein Bedürfnis zu wecken?“, sagt sie. Der Kölner Künstler und urbane Aktivist Boris Sieverts hat ihr mal gesagt, dass es in solchen Stadtraum-Interventionen auch darum ginge, „etwas hinzusetzen, von dem man gar nicht wusste, dass man es vermisst“.

Aber wie gehen die Künstler*innen anschließend damit um, dass sie ein Bedürfnis geweckt haben und weitergezogen sind? „Auf diese Fragen habe ich noch keine Antworten“, gibt Eva-Maria Baumeister offen zu – und wirkt gerade diese offene Ratlosigkeit reflektiert und glaubwürdig: Hier in Arnsberg findet gerade ein reales Experiment statt. Wie künstlerisch-ästhetisch darf, muss, kann so eine Intervention im Stadtraum gestaltet sein? Schreckt eine starke theatralische Inszenierung die Menschen vielleicht noch mehr ab? Was muss offen zugänglich, was geheimnisvoll gestaltet sein?

Am letzten Tag soll hier auch Kunst – Eva-Maria Baumeister nennt sie „performative Happenings“ – stattfinden. Bei Veranstaltungen in Arnsberg haben sie und ihre drei Mitstreiterinnen vor ein paar Tagen Flyer verteilt und Menschen persönlich eingeladen, ihren Wunsch an eine lebendige Stadt im Laden zu äußern, mit einem Mikro nach außen zu sprechen, aufzunehmen, auf einen Zettel zu schreiben.

 

Und auf einmal öffnet sich die Ladentür

Zwei Tage später, kurz vor Schließung, überlegt das Stadtlabor Arnsberg, das Angebot im ehemaligen Pressehaus, gemeinsam mit dem Jugendzentrum, zu verstetigen. Und Eva-Maria Baumeister, Lena Brokinkel und Lena Thelen inszenieren ihre Abschlussperformance: Sie werfen die Nebelmaschine an, illuminieren den Raum, der nach außen nun strahlt wie ein leuchtender, kuscheliger, undurchdringlicher Wattebausch. Die Lautsprecher stehen draußen und Eva hält einen über die ganze Straße schallenden Monolog: „Ich bin ein freier Raum. Ich bin für dich da. Womit würdest du mich füllen? Gibt es etwas, das uns alle verbindet?“ Man sieht innen kaum noch die Hand vor Augen, die bunten Karten, die Siebdruckmaschine, die Bücher, die Kissen, das kunterbunte Durcheinander zum Mitmachen sind aus dem Blick verschwunden.

Und auf einmal öffnet sich die Ladentür, wagen sich erstmals ein paar Menschen von der Straße in den seltsam anonymisierten Space, schreiben Wünsche auf. Etwa „Ein konsumfreier Bewegungsraum“ oder „Ein lebendiger Kreativraum für eine lebendige Stadt“. Vielleicht ist es doch so: In der künstlerischen Setzung fühlen sich Passanten geschützter und mutiger als in einem Sozialraumexperiment, in dem sie wie auf dem Präsentierteller etwas „leisten“ müssen. Vielleicht ist das ein ähnlich menschlicher Reflex wie nur noch online shoppen zu gehen – es fällt leichter, da es unpersönlicher ist.

Die Erkenntnis ist spannend: Mit einer großen Vision, einem pompösen Titel, für kurze Zeit an einen Ort zu kommen, um etwas verbessern zu wollen, ist vielleicht vermessen und kann den Niedergang der Innenstädte nicht aufhalten. Aber vielleicht kann Kunst eben doch helfen, an der Transformation der Wirklichkeit mitzuhelfen: Einfach, weil sie ein Alibi verleiht, fantasievoll und groß zu denken – im geschützten Raum der künstlerischen Verwandlung.

 


zu LET'S SING ANTOHER SONG - PROTEST!

KÖLNER STADTANZEIGER

Let´s sing another song! Protest!  von N. Raffelsiefen

 

Die Qual der Wahl begleitet die Zuschauer beim Besuch des Protest-Parcours des Künstler:innen-Kollektivs Polar Publik im FWT. Das gesamte Theater gleicht einem bunten Markt der Möglichkeiten. An den unterschiedlichsten Orten im Haus laden einzelne Stationen zum aktiven Mitmachen, Schauen, Lesen und Hören ein. Das Foyer wurde vorab unter Mithilfe der Initiative Bewegte Bäume in einen begrünten Park verwandelt. Hier stimmen Musiker an der Elektro-Orgel mit bekannten Protestsongs die Besucher ein, während es gilt, sich mithilfe des Programmblattes einen Überblick zu verschaffen. Wer möchte, kann sofort in medias res gehen und einen Protestbrief verfassen und in die Post stecken. Oder lieber doch erst einmal die Glieder strecken beim Protestgestenyoga? Das wird auf dem Bildschirm einer Blackbox in Endlos-Schleife vorgeturnt. Oder im Crash-Kurs der Schauspielerin und Kommunikation-Coach Judith Wolf folgen, die eine kleine, praxisorientierte Einführung in die personenzentrierte Gesprächsführung gibt. Dabei gilt es, bei der schier endlos erscheinenden Menge an Angeboten, einen Blick auf den detaillierten und eng getakteten Ablaufplan zu werfen, damit nicht die zentralen Programmpunkte verpasst werden. Das sind zwei szenische Arbeiten, die das Thema mit musiktheatralischen Mitteln behandeln. In der Performance „Where Where You: Genuis“ entwickelt sich eine surrealistische Mini-Oper, bei der der Genese einer bürgerlichen Revolte nachgespürt wird, die an der Kaffeetafel ihren Anfang nimmt. Eine Kombination aus Opernsopran (Ute Eisenhut) und zwei Synthesizern (Axel Lindner, Oxana Omelchuk), die verfremdete Popsongs ausspucken, bilden den musikalischen Background, vor dem Fiona Metscher und Eva-Maria Baumeister einen eigenwilligen Generationsstreit austragen. Den emotionalen Höhepunkt des Abends setzt die zweite Performance „Schießt doch!“. Die gebürtige Belarussin Oxana Omelchuk verarbeitet in ihrer Komposition die blutig niedergeschlagenen Proteste in ihrem Heimatland. Auf der Bühne liegen 15 Snare Drums, aufgereiht wie eine kleine musikalische Armee. Während elektronische Instrumente den Klang der Trommeln zu einem immer bedrohlicher werdenden „Wall of Sound“ anschwellen lassen, demonstrieren die drei Frauen  -  neben Oxana Omelchuk agieren hier noch Fiona Metscher und Eva-Maria Baumeister -  auf der Bühne barfüßig ihre Verletzlichkeit. Bald greift jede der Frauen zu einer Trommel, die einem Schutzschild gleich, vor das eigene Gesicht gehalten wird, damit aber auch das Individuum hinter einer Maske verschwinden lässt. Erst als das Trio ein gemeinsames Lied anstimmt, werden neben den Stimmen auch ihre Gesichter wieder erkennbar. Der allmählich anschwellende Chorgesang erweist sich als belarussisches Schlaflied, das die mutigen Frauen in Belarus dem Diktator Lukaschenko als feinsinnigen Protest gesungen hatten. Ein leises Fanal, gerichtet an die dröhnenden Diktatoren in aller Welt, das auf sehr berührende und anschauliche Art und Weise den Zuschauern vor Augen führt, wie man äußere und innere Widerstände mit subtilen Mitteln und Mut überwinden kann.

 

 


Zu VERSCHWINDENDE ORTE ODER WAS UNS RETTEN KANN

Deutschlandfunk CORSO

 

WDR 3, Kultur am Mittag

 
KULTURWEST

https://www.kulturwest.de/inhalt/ein-dorf-verschwindet


Kölner Rundschau
"Verschwindende Orte“ im FWT - Bar jeder nostalgischen Süße

Seit 40 Jahren fallen dem rheinischen Braunkohletagebau in apokalyptischer Zerstörung Dörfer, Wälder und bester Ackerboden zum Opfer. 21 weitere Orte sollen in den nächsten Jahren abgerissen werden. Die ihrer Häuser, Höfe, Kirchen und Friedhöfe beraubten Einheimischen: „Umgesiedelt“. Aber weg sind sie nicht, im Gegenteil: Jetzt sind sie auf der Bühne des Freien Werkstatt Theaters, eingeladen von Regisseurin Eva-Maria Baumeister, der die Bilder vom brachialen Abriss des „Immerather Doms“ im Januar 2018 einen Schlag versetzten. Ihr Thema seitdem: „Verschwindende Orte oder Was uns retten kann“.

Der Protest der Nachbarn im Westen ließ sich lange überhören. „Wir haben alle legalen Mittel versucht“, erklärt eine resignierte Bewohnerin: „Können wir als Bürger in diesem Land nur etwas erreichen, wenn man über Grenzen geht?“ Baumeister sammelte O-Töne u.a. in Keyenberg, Geräusche und auch ihr Verschwinden, wenn es kein Leben mehr gibt – ein unangenehm anhaltender Brummton markiert auf der Bühne die Präsenz der gigantischen Schaufelbagger, die sich 200 Meter tief in die Erde fressen. Inmitten der Zuschauer sitzen Mitglieder der Chorgemeinschaft aus dem Umsiedlungsgebiet Tenholt-Granterath-Hetzerath – Zeugen, die immer wieder in die Mitte treten, um von ihrer Wut zu sprechen oder bar jeder nostalgischen Süße vom Brunnen vor dem Tore zu singen.

Die vermeintlich Ohnmächtigen haben eine Stimme und fühlen sich von der aktuellen „Hambi“-Bewegung durchaus bestärkt. Das geht nah, umso mehr, als sich Baumeister für ihre „musiktheatralische Choreografie“ nicht auf das Dokumentarische beschränkt, um nach Entmündigung, Solidarität und Widerstand, durchaus auch nach Zwiespalt zu fragen. Eine fiktive Architektin (eindringlich Fiona Metscher) spiegelt Revolte wie Resignation und entfaltet vor einer fragilen Glasharfe ihre Utopie einer besseren (Lebens) Energie. (SK)

Rheinische Post

zu anderen Projekten:

Romy Weinmann in der Kölner Theaterzeitschrift AKT über Eva-Maria Baumeister:
(...) Zu entdecken, wie weit man mit eigenen Projekten kommen kann, war für die damals 27-Jährige eine wichtige Erfahrung. Mit einem Freund rief Baumeister im Juli 2006 das Theaterfestival "Kaltstart" im "Haus 73" in Hamburg ins Leben, eine Plattform für junge Künstler, die schnell stark beachtet wurde und immer noch höchstlebendig ist . “Ich mag es, Gruppen zusammen zu bringen und Berührungsängste abzubauen, so dass man gemeinsam einem Thema begegnet", erklärt Baumeister . (....) Sie führte Freiarbeitsblöcke und Workshop-pools ein, damit die Schauspielstudenten neben dem klassischen Handwerk ihre individuellen Talente und Interessen entwickeln. Dazu gehören auch Praktika und eigene Projekte. "Vor allem aber geht es darum, sich zu vernetzen, die eigenen Stärken kennen zu lernen und daraus ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln", sagt sie, "Ich hatte immer ein Bild von einem Haus, wo junge Leute kreative Projekte zusammen gestalten, ein Ort, wo man von der Zusammenarbeit mit Produzenten profitiert und auch eigene Arbeiten schafft“


zu TRISTAN: WER AUS MIR TRINKT, WIRD EIN REH:

Eine poetische wie klangliche Meisterleistung, deren Trank berauscht." 
Kölner Wochenspiegel (Thomas Dahl)

Mutig, das Genre Oper in einen Theaterabend so intensiv einzubauen. (...) Ein intensiver, überraschender Theaterabend.Rheinkultur

(Christoph Zimmermann)



"Regisseurin Eva-Maria Baumeister gelingt die spannende Uraufführung eines märchenhaft entrückten Stücks (...) Es ist eine intensive

Erfahrung, die kraftvollen Sänger in ungewohnter Nähe zu erleben. (...) Ein Wagner-Wagnis, das dank Originalität und

Einfallsreichtum glückt." Kölner Stadtanzeiger (Jessica Düster), 20.9.2011

"Ein intelligentes und anspruchsvolles Spiel rund um die Musik und die Liebe." www.koeln.de (Jürgen Schön), 19.9.2011

"Die erstaunlich gute Akustik des Raumes führt zu einem Gesangserlebnis der besonderen Art. [...]   Wagner auf der kleinen Bühne?

Funktioniert das? Ja, das funktioniert sehr gut. Zumindest im Theater Der Keller. Und man muss kein Opernliebhaber sein, um sich

diesem Wagner-Abend hinzugeben." www.meine-suedstadt.de (Stephan Martin Meyer)

"Das Stück "Wer aus mir trinkt, wird ein Reh“ wagt manches. [...] Dazu zählen auch die Auftritte der Opernsänger Ute Eisenhut und

Paul Lyon als Isolde und Tristan, die mit ihren mächtigen Sitmmen den kleinen "Keller" schier zu sprengen drohen." 
Kölner Rundschau

(Hans-Willi Hermans), 21.9.2011

zu BERMUDADREIECK:

»Regisseurin Eva-Maria Baumeister und ihr Team kommen mit wenig aus, um das Stück und seinen Inhalt auf das Wesentliche zu

verdichten. (...)Bei Eva-Maria Baumeister schaffen es die Schauspieler, mit wenigen exakten Bewegungen und kleinen Nuancen die Tragik,

aber auch Brutalität ihrer Figuren aufscheinen zu lassen. [...]– wenige, jedoch von Regisseurin Eva-Maria Baumeister klar gesetzte

Handlungen. [...] Ein Theaterabend, der die Existenz einer wahren Identität in Frage stellt und die Suche nach ihr als Farce begreift.« 


nachtkritik.de


»[…] Eva-Maria Baumeisters Inszenierung ist stimmig, melancholisch und komisch.« 
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
 »Im engen, nebligen Rund, kann der Zuschauer fast auf Tuchfühlung gehen, sieht jeden perlenden Schweißtropfen, jeden

Perspektivwechsel der beiden Schauspieler – auch das macht den Reiz der kurzweiligen Inszenierung von Eva-Maria Baumeister aus.« 


Ruhr Nachrichten